Die Künstlerin

Ich bin am 17. Mai 1942 in Küsnacht zur Welt gekommen. Seit ich mich erinnern kann, bin ich fasziniert von der Einzigartigkeit der Pflanzenwelt. In ihr finde ich reinste Schönheit, aus ihr schöpfe ich Kraft und Inspiration. Bereits als Kind liebte ich es, diese Welt mit ihren wunderbaren Farben und Formen zu gestalten. Aus meinem Spiel wurde mehr und mehr eine Leidenschaft. Um diese zum Beruf zu machen, ging ich mit siebzehn an die Kunstgewerbeschule. Da es zu jener Zeit in Zürich noch keine Schule für Gestaltung gab, trat ich im darauffolgenden Jahr eine Lehre zur Schaufensterdekorateurin an. Durch das Erlernen von gestalterischen Grundkompetenzen und der vertieften Auseinandersetzung mit der Farb- und Formenlehre fand ich schliesslich zum Malen. Ich war fasziniert von den grossen Meistern des Impressionismus, doch scheute ich als Autodidaktin davor zurück, mich zu sehr beeinflussen zu lassen, da es mir wichtig war, meinen ganz eigenen Stil zu finden. In diesen Jahren lernte ich meine grosse Liebe Max kennen. Blumen waren für mich das ideale Sujet, um das Glück ausdrücken zu können, das mir in der Beziehung mit Max immer wieder aufs Neue geschenkt wurde.

Der Beruf führte meinen Mann oft für längere Zeit ins Ausland. In diesen Wochen vermisste ich ihn schmerzlich; das Malen tröstete mich aber etwas und lenkte mich ab, so dass ich den Pinsel immer öfters in die Hand nahm. Schliesslich konnten wir es so arrangieren, dass ich Max jeweils begleitete. Anstelle eines Fotoapparates nahm ich jeweils meinen Fettstift mit auf die Reise. Mit meinem Mann entdeckte ich unzählige wunderbare Orte dieser Welt; es gab so viel zu zeichnen! Manchmal hatte ich dafür viel Zeit, manchmal musste es schnell gehen (etwa bei bewegten Szenerien). Zuhause sammelte ich die vielen Blätter in grossformatigen Büchern. Nach der Geburt unserer beiden Söhne und unserer Tochter reisten wir häufig als ganze Familie. Meine Zeichnungen entstanden aber weiterhin vor allem auf jenen Reisen, die wir zu zweit unternahmen.

Mit der Erkrankung meines Mannes Max wurde unser Leben komplett auf den Kopf gestellt, und es legte sich ein bis anhin unbekannter Schatten auf uns. Das Zeichnen und Malen fiel mir immer schwerer; in Max letzten beiden Jahren rührte ich Pinsel und Fettstift nicht mehr an. Als Max verstarb, stürzte ich in eine tiefe Sinnkrise. Meine Liebe – die Quelle meines Schaffens – war mir vom Tod entzogen worden. Es war mir nicht möglich, auch nur einen Pinselstrich zu tun. Wo ich ehedem beim Anblick einer weissen Leinwand bereits Farben und Sujets sah, sass ich nun ohne Inspiration davor. Meine innere Palette war nur noch grau, und die leere Leinwand widerspiegelte die Leere in mir.

Nicht zuletzt dank der vielen Ermunterungen und Zusprüche aus meinem Umfeld überwand ich mich nach einer längeren Pause dazu, mich wieder vor die Staffelei zu setzen. Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten fand ich nach und nach zurück und konnte wieder in meine wunderbare Welt der Farben eintauchen. In ihr konnte ich alles vergessen, auch die Trauer. Ich bin unendlich froh, diesen Zugang erneut gefunden zu haben. Dabei fühle ich nun noch stärker die Kraft unserer Liebe, die mich trägt und mir ermöglicht, die Welt wieder in Farben zu sehen. Ich male Freude und Dankbarkeit für dieses wunderbare Leben.

Obwohl ich mein Malen und Zeichnen im intimsten Rahmen pflegte, durfte ich meine Zeichnungen immer wieder an Ausstellungen der Öffentlichkeit zeigen. Als die UNICEF zwei meiner Ölbilder als Kartensujets auswählte, freute mich dies ungemein.